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Im Gespräch mit Barbara Neumann, Schulleiterin Robert-Bosch-Schule

Wo die Zukunft jeden Tag beginnt!

Jetzt. Magazin: Hallo Frau Neumann, schön, dass wir heute hier bei Ihnen an der Robert-Bosch-Schule in Homburg sein dürfen. Sie sind nun schon viele Jahre im Schuldienst. Macht Ihnen Ihre Arbeit denn immer noch genauso viel Freude wie zu Beginn?

Barbara Neumann: Absolut. Ich sage immer: Ich arbeite am schönsten Platz der Welt mit den besten Menschen zusammen. Schule ist vielfältig und total interessant, und es wird einfach nie langweilig. Ein Tag geht rasend schnell vorbei, und ich komme sehr gerne hierher. Ich gehöre nicht zu den Leuten, die nach 30 Jahren im Schuldienst sagen: „Jetzt reicht’s.“ Es ist tatsächlich der schönste Job.

Jetzt. Magazin: Erzählen Sie uns doch ein wenig über sich selbst. Sind Sie schon immer im Bereich Schule tätig gewesen?

Barbara Neumann: Ganz im Gegenteil. Als Schülerin habe ich die Schule nicht besonders gemocht. Ich habe den mittleren Bildungsabschluss gemacht und wollte so schnell wie möglich weg von der Schule. Meine Eltern hätten sich damals gewünscht, ich mache Abitur, aber den Gefallen habe ich ihnen nicht getan. Stattdessen habe ich etwas gelernt, von dem ich wusste, dass meine Eltern es garantiert nicht wollen: Mit 16 habe ich eine Ausbildung zur Kfz-Mechanikerin gemacht.

Nach meiner Ausbildung habe ich dann auch tatsächlich zwei Jahre in einer Werkstatt gearbeitet und danach fünf Jahre in einer Reparaturannahme. Dort habe ich Probefahrten gemacht oder auch Schadensfeststellungen durchgeführt. Aber ich habe in dieser Zeit gemerkt, das ist nicht der Beruf, den ich bis zur Rente machen möchte. Das war mir einfach nicht genug, ich wollte das nicht. Meine Firma wollte mich damals als Kundendienstleiterin einsetzen, aber ich habe mich dazu entschieden, mein Abitur nachzuholen. Ich war vier Jahre am Abendgymnasium in Saarbrücken und habe 1992 mein Abitur gemacht. Bis kurz vor meinem Studium habe ich noch gearbeitet, dann aber aufgehört, um mich voll auf mein Studium zu konzentrieren.

1998 war ich fertig mit dem Studium, dann kam das Referendariat, und 2000 war ich Lehrerin. Ab 2002 habe ich Kolleginnen und Kollegen im Referendariat ausgebildet, und 2007 wurde ich Schulleiterin in Obertal. 2010 bin ich zurück an die Robert Bosch Schule gekommen, wo ich selbst meine Ausbildung gemacht habe. Ich wollte auch immer hierher zurück, denn das ist definitiv meine Schule. Diese Schule war für mich immer Heimat, wie ein zweites Zuhause. Hier bin ich bestens aufgehoben, ich mag einfach Menschen, ich mag die Kinder und alle mit denen ich zu tun habe.

Jetzt. Magazin: Können Sie uns vielleicht etwas über die Schule erzählen? Wie viele Schüler und Lehrkräfte gibt es? Was macht die Schule besonders?

Barbara Neumann: Ja, sicher. Unsere Schule gibt es schon über 60 Jahre. Früher war das mal die Kreisrealschule, später wurde es eine erweiterte Realschule und dann eine Gemeinschaftsschule. Als Kreisrealschule hatten wir etwa 1500 Kinder und Klassen mit 38 Schülerinnen und Schülern, das Schulhaus war da schon sehr voll, das hat man heute nicht mehr. Heute sind es noch etwa 410 Kinder, etwa 40 Kolleginnen und Kollegen sowie etwa 10 externe Mitarbeitende für den Ganztagsbereich.

Wir sind bis einschließlich Klassenstufe 8 eine gebundene Ganztagsschule. Das bedeutet, dass die Kinder von 7:50 Uhr bis 16 Uhr bei uns sind. Dabei handelt es sich nicht um Betreuung, sondern um eine Mischung aus Unterricht und Arbeitsgemeinschaften (AGs). Unsere Lehrkräfte übernehmen das meiste davon selbst. Die externen Mitarbeitenden bieten besondere AGs an, etwa Fußball, Handball, Yoga und andere kreative oder sportliche Angebote. Für den Ganztagsbereich müssen die Eltern nichts bezahlen, abgesehen vom Mittagessen.

Ich bin wirklich fest davon überzeugt, dass eine gute Schule nur über den Ganztag möglich ist. Wenn man nur bis 13 Uhr Schule hat, dann hat man einfach nur Unterricht – das war‘s. Das sind nur die Fächer nach Stundenplan, und das lässt keine Zeit für etwas anderes. Im Ganztag aber können wir die Stunden verteilen, den Tag rhythmisieren und ganz anders gestalten. Die Kinder machen bei uns alle Aufgaben in der Schule. Es gibt keine Hausaufgaben, die Schulbücher bleiben hier. Wir legen großen Wert darauf, dass die Kinder viel miteinander und voneinander lernen, deshalb ist das für uns so wichtig, der Ganztag bis einschließlich Klasse 8. Und ab der 9. Klasse entscheiden die Kinder dann, ob sie das so weiterführen möchten. Es gibt Lernzeiten, in denen die Schülerinnen und Schüler selbstständig arbeiten, und die Lehrkräfte unterstützen sie dabei. Wir haben hier an der Schule auch AGs, also Arbeitsgemeinschaften, in denen die Kinder ihren Interessen nachgehen können, sei es im sportlichen, kreativen oder anderen Bereichen.

Der Ganztag hat sich über die Jahre absolut bewährt. Ich habe mittlerweile fast keine Halbtagsanmeldungen mehr. Vielleicht gibt es mal eine Handvoll Eltern, die sagen: „Wir wollen unser Kind lieber im Halbtagsunterricht haben“, aber das ist eher selten. Die meisten Eltern arbeiten heutzutage selbst den ganzen Tag, und sie schätzen es, dass ihre Kinder bei uns gut aufgehoben sind. Für viele Familien ist es auch ein Vorteil, dass die Kinder keine Hausaufgaben mit nach Hause bringen. Das schafft nach der Schule Freiräume für die Familie.

Wir sehen uns hier einfach als eine Art zweite Familie für die Kinder. Das geht natürlich nur, weil der Ganztag auch von uns Lehrkräften wirklich gelebt wird. Wir sind den ganzen Tag hier, das ist klar. Das Bild vom Lehrer, der „morgens recht hat und mittags frei“, gibt es bei uns nicht mehr. Das funktioniert natürlich nicht. Die Lehrkräfte sind den ganzen Tag gefordert, weil wir nicht nur unterrichten, sondern auch organisieren, betreuen und ganz viele Aufgaben übernehmen, die früher nicht Teil des Lehreralltags waren. Aber genau das macht unsere Schule auch so besonders.

Jetzt. Magazin: Wie hat sich denn die Rolle der Lehrkräfte verändert, gerade in einer Gemeinschaftsschule?

Barbara Neumann: Die Rolle der Lehrkräfte hat sich komplett verändert. Früher, als es noch Hauptschulen, Realschulen und Gymnasien gab, waren die Kinder vorab sortiert. Man wusste genau, welche Fähigkeiten die Schülerinnen und Schüler mitbrachten, weil die Schulform das vorgab. Bei uns in der Gemeinschaftsschule ist das anders: Wir nehmen alle Kinder auf, unabhängig davon, wo ihre Stärken oder Schwächen liegen. Das bedeutet, dass wir mit einer enormen Vielfalt arbeiten.

Wir haben Schülerinnen und Schüler mit Lese-Rechtschreib-Störungen, Kinder mit ADHS oder körperlichen Einschränkungen. Es kommen auch geflüchtete Kinder zu uns, die teilweise erst die deutsche Sprache lernen müssen. An unserer Schule sprechen wir mittlerweile 25 verschiedene Sprachen. Wir haben Kinder mit kognitiven Einschränkungen und Kinder, die in manchen Bereichen langsamer lernen. Gleichzeitig gibt es aber auch Schülerinnen und Schüler, die besonders leistungsstark sind und viel schneller vorankommen. All diese Kinder sitzen in einer Klasse, und unser Ziel ist es, alle mitzunehmen und auf alle Bedürfnisse einzugehen.

Früher hat sich der Lehrer vorne hingestellt, unterrichtet und die Kinder haben entweder verstanden, was vermittelt wurde, oder eben nicht. Das funktioniert heute nicht mehr. Wir müssen jedes Kind individuell betrachten, damit es einen guten Abschluss bekommt und gleichzeitig Sicherheit in der beruflichen Orientierung. 

Jetzt. Magazin: Wie genau kann man sich das in der Praxis vorstellen?

Barbara Neumann: Wenn wir den Unterricht vorbereiten, denken wir daran, was die Kinder brauchen. Es gibt nicht mehr „eine Aufgabe für alle“. Wir arbeiten mit Differenzierung: Es gibt Kinder, die erhalten einfachere Arbeitsmaterialien oder zusätzliche Hilfestellungen. Andere benötigen anspruchsvollere Aufgaben, um gefordert zu werden und wachsen zu können. Wir geben den Kindern auch sogenannte Hilfe-Kärtchen oder Materialien an die Hand, die sie bei der Lösung ihrer Aufgaben unterstützen.

Dazu kommt, dass wir verstärkt im Team arbeiten. Wir haben ein ausgesprochen gutes Förderteam an der Schule. Diese Kolleginnen und Kollegen sind häufig im Team-Teaching dabei. Sie setzen sich mit in den Unterricht, schauen, wo die Kinder noch Unterstützung brauchen, und greifen uns Lehrkräften unter die Arme. Das kann zum Beispiel bei der Organisation der Arbeitsmaterialien oder der Hefte sein. Manche Kinder benötigen Hilfe, um zu lernen, wie sie ihre Unterlagen richtig führen oder wie sie überhaupt anfangen, eine Aufgabe zu lösen.

Ein großer Teil unserer Arbeit besteht heute darin, die Kinder individuell zu beraten und zu begleiten. Wir fragen uns: Was kann das Kind schon, wo möchte es hin? Wir versuchen immer, die Kinder zu motivieren, indem wir ihnen zeigen, was sie bereits erreicht haben. Dafür haben wir auch sogenannte Kann-Listen. Darin steht: „Was kannst du?“ und nicht „Was kannst du nicht?“ Die Kinder lernen bei uns, ihre eigenen Fortschritte wahrzunehmen. Zu Beginn jeder Unterrichtseinheit erklären wir genau, was auf sie zukommt, was sie lernen werden und welche Ziele sie erreichen können. Wir lassen den Kindern Raum, sich zu entwickeln und selbst einzuschätzen: „Wo stehe ich gerade? Was möchte ich noch erreichen?“ Wir geben ihnen Feedback, aber sie sollen sich auch selbst reflektieren, das ist uns auch sehr wichtig.

Jetzt. Magazin: Und das endet dann mit den verschiedensten Abschlüssen?

Barbara Neumann: Ja, genau. Die Kinder machen bei uns unterschiedliche Abschlüsse – den Hauptschulabschluss, den mittleren Bildungsabschluss oder das Abitur. Das bedeutet, dass sie nicht alle auf demselben Level arbeiten. Aber am Ende müssen alle wissen: „Was kann ich, und was will ich?“ Manche Kinder entscheiden sich für den Weg in die eigene Oberstufe. Wir haben einen Oberstufenverbund mit dem BBZ und anderen Gemeinschaftsschulen, der Neuen Sandrennbahn und der Gemeinschaftsschule in Limbach. Alle unsere Kinder nutzen die Räume am BBZ und unsere Lehrer unterrichten dort in der Oberstufe. Das funktioniert gut, und mittlerweile haben wir schon den dritten Abiturjahrgang erfolgreich durchgebracht. Einige der Kinder studieren sogar bereits.

Andere Kinder machen bei uns den Hauptschulabschluss. Hier ist unser Ziel, dass sie genau wissen, welchen Beruf sie danach ergreifen möchten, oder vielleicht möchten sie ja doch noch den mittleren Bildungsabschluss machen, dafür haben wir ein Berufsorientierungsteam hier an der Schule. Dieses Team zeigt den Schülerinnen und Schülern, welche Möglichkeiten es gibt. Gerade läuft die Potenzialanalyse in Klasse 8. Dabei arbeitet ein Team der Handwerkskammer mit den Kindern zusammen und findet heraus, welche Stärken, Neigungen und Begabungen sie haben. Sind sie handwerklich begabt? Eher kreativ? Oder interessieren sie sich für Bürotätigkeiten? Nach mehreren Tagen bekommen die Kinder ihre Rückmeldung: Wie teamfähig sind sie? Wo liegen ihre Stärken? Danach gehen sie in die Handwerkskammer und probieren verschiedene Berufe aus. Später machen sie ein Schülerbetriebspraktikum und nehmen an Berufswahlmessen teil.

Wir haben enge Kooperationen mit Betrieben, und das zahlt sich aus. Vor einigen Monaten haben wir den Schule-Wirtschaftspreis gewonnen – erster Platz für unsere Kooperation mit den Universitätskliniken. Zwei Kolleginnen bieten bei uns die „Mini-Nurse-AG“ an, um Kinder früh für Pflegeberufe zu begeistern. Außerdem haben wir ein starkes Schulsanitäter-Team. Da wissen die Schüler am Ende ganz genau, wo ihre Reise hingeht. Das ist unser Ziel: Wir sind ja nur eine Durchgangsstation. Aber wenn die Kinder von hier weggehen, sollen sie gut vorbereitet sein – für die nächste Schule oder das Berufsleben. Unsere Aufgabe ist es, sie aufs Leben vorzubereiten, damit sie sozial und beruflich bestehen können.

Jetzt. Magazin: Sozial ist ein gutes Stichwort. Social Media ist heute ein großes Thema. Gerade in der jungen Generation. Wie stehen Sie dazu und wie beeinflusst es den Schulalltag?

Barbara Neumann: Ich nutze Social Media nicht. Warum? Weil ich mich gut kenne und weiß, dass ich zu viel Zeit darauf verwenden würde, wenn ich es tun würde. Ich habe kein WhatsApp und auch kein Facebook, obwohl Letzteres ja ohnehin mehr etwas für die ältere Generation ist – das sagen mir jedenfalls immer meine Schülerinnen und Schüler. Für sie sind eher Plattformen wie Instagram, TikTok oder Snapchat relevant. Und auch wenn ich die Apps nicht aktiv nutze, kenne ich die Plattformen und weiß, wie man damit umgeht, bilde mich hier auch fort, ebenso wie mein Team.

Ich verteufle Social Media auch nicht, es hat viele positive Seiten. Es verbindet Menschen miteinander, und wenn es richtig genutzt wird, ist es eine hervorragende Möglichkeit, sich zu informieren. Aber hier ist auch das Problem, wie können Kinder richtig differenzieren? Ist das „fake“ oder „real“? Man lässt die Kinder auch oft damit alleine, viele bekommen früh ein Handy. Sie sind dann direkt vernetzt – mit allem Guten, aber auch mit allem Schlechten, was das Internet zu bieten hat.

Früher hat man sich über den „Mann mit dem Mantel“ oder den weißen Bus vor der Schule Sorgen gemacht. Heute sind diese Gefahren digital. Es gibt unglaublich viele Übeltäter im Netz. Kinder werden mit Inhalten konfrontiert, die sie nicht sehen sollten. Sie erleben und machen Dinge, die sie nicht tun sollten. Und ich sage immer: „Alles, was du einmal gesehen hast, wirst du in deinem Leben nicht mehr vergessen.“ Ein Kind kann noch gar nicht entscheiden, ob etwas gut oder schlecht für es ist. Deshalb ist es so wichtig, dass wir Lehrkräfte sie nicht alleine lassen, dass wir sie beschützen.

Jetzt. Magazin: Wie sieht das im Schulalltag konkret aus?

Barbara Neumann: Hier in der Schule haben wir klare Regeln: Handys sind im Tagesablauf verboten. Die Kinder haben alle Tablets, die sie für den Unterricht nutzen können. Wir wollen ihnen einen Raum bieten, der frei von Social Media ist. Keine lustigen Katzenvideos, kein TikTok, kein WhatsApp – das gehört nicht in den schulischen Alltag. Natürlich gibt es immer Kinder, die es heimlich versuchen. Aber wir kennen unsere Kinder gut. Mit 410 Schülerinnen und Schülern ist es bei uns noch möglich, den Überblick zu behalten. Wenn jemand gegen die Handyregel verstößt, gibt es klare Konsequenzen: gelbe und rote Karten, die auch im elektronischen Klassenbuch vermerkt werden.

Dabei ist es uns aber wichtig, den Kindern zu erklären, warum diese Regeln existieren. Wir wollen nicht, dass Kinder gefilmt oder fotografiert werden, ohne es zu wollen. Wir wollen nicht, dass solche Inhalte später ins Netz gelangen und die Kinder eventuell bloßstellen. Das sorgt oft für großes Unglück. Wir wollen die Kinder auch vor Gefahren wie Cyber-Grooming schützen. Deshalb informieren wir uns als Schule kontinuierlich weiter. Gerade erst haben wir diesbezüglich Fortbildungen gemacht, Elternabende zu diesem Thema veranstaltet und uns mit den Herausforderungen auseinandergesetzt.  Mit dabei war auch ein pädagogischer Tag zum Thema Jugendschutz und sexuellem Missbrauch im Netz. Dabei ging es darum, wie wir solche Gefahren erkennen, wie wir helfen können und wie wir reagieren müssen.

Jetzt. Magazin: Wie passt hier die Rolle der Eltern dazu und wie interagieren Sie mit den Eltern?

Barbara Neumann: Die Zusammenarbeit mit den Eltern ist essenziell. Wir verbringen oft mehr Zeit mit den Kindern als sie selbst – besonders in einer Ganztagsschule. Die Eltern haben am Abend vielleicht vier Stunden mit ihren Kindern, wir aber den ganzen Tag. Deshalb sehen wir es als unsere Aufgabe, auch ein Stück weit zu erziehen. Es funktioniert am besten, wenn die Eltern uns unterstützen und wir gemeinsam ein Team bilden. Wenn Eltern uns jedoch entgegenarbeiten, wird es schwierig. Aber die meisten Eltern stehen hinter unseren Regeln und erkennen auch, dass sie ihre Kinder mit diesen Themen nicht allein lassen dürfen.Ich sage immer, Eltern müssen Social Media genauso lernen wie die Kinder. Viele Erwachsene sind selbst unvorbereitet in diese Welt katapultiert worden und wissen oft gar nicht, welche Risiken es gibt. Unsere Aufgabe ist es, den Kindern zu helfen, mit diesen Herausforderungen klarzukommen. Und gleichzeitig müssen wir den Eltern zeigen, wie sie ihre Kinder dabei unterstützen können.

Jetzt. Magazin: Muss man gezielt auf die Eltern zugehen, um sie für diese Themen zu sensibilisieren, oder kommen sie von selbst ins Gespräch?

Barbara Neumann: Man muss gezielt auf die Eltern zugehen. Als wir zum Beispiel einen Elternabend zu Cyber-Grooming veranstaltet haben, waren leider nur wenige Eltern da. Aber wir lassen uns davon nicht entmutigen und bieten solche Veranstaltungen immer wieder an, wir geben da keine Ruhe. „Steter Tropfen höhlt den Stein“, wie man so schön sagt. Und es spricht sich ja auch herum, was wir hier tun. Es ist uns wichtig, die Eltern mitzunehmen und sie zu unterstützen.

Jetzt. Magazin: Müssen also teilweise auch die Eltern „miterzogen“ werden?

Barbara Neumann: Ja absolut, das würde ich tatsächlich so sagen – zumindest teilweise. Natürlich sind Eltern erwachsene Menschen, und man kann nicht erwarten, dass sie sich erziehen lassen wollen. Aber es geht nicht darum, sie zu belehren, sondern darum, gemeinsam mit ihnen zu lernen. Viele Eltern sind selbst in die digitale Welt hineinkatapultiert worden, ohne ausreichend darauf vorbereitet zu sein. Sie wissen oft gar nicht, welche Möglichkeiten – positive wie negative – es dort gibt.

Jetzt. Magazin: Geben also Eltern zu viel Verantwortung ab?

Barbara Neumann: Ich sehe es so: Eltern geben manchmal unbewusst zu viel Verantwortung ab. Sie geben ihrem Kind ein Handy und denken, damit ist alles erledigt. Aber das Kind ist noch nicht in der Lage, selbst zu entscheiden, was gut oder schlecht für es ist. Es ist wichtig, dass Eltern verstehen, dass sie weiterhin eine aktive Rolle spielen müssen, auch wenn die Technik so viele Möglichkeiten bietet. Wir als Schule können und müssen da unterstützen, aber wir können die Verantwortung nun mal nicht komplett übernehmen.

Es ist auch leicht, mit Schuldzuweisungen zu arbeiten: Das Bildungsministerium sei schuld, die Schule sei schuld, die Lehrerinnen und Lehrer seien schuld, oder die Landesregierung. Aber letztlich hilft es mehr, wenn alle einen Schritt zurücktreten und sagen: „Was kann ich selbst tun? Welche Verantwortung trage ich?“ Wenn Eltern sagen: „Ich bin verantwortlich dafür, wie mein Kind mit dem Handy umgeht“, und Lehrkräfte sagen: „Ich bin dafür verantwortlich, dass das Kind im Unterricht den Stoff versteht“, dann können wir zusammenarbeiten. So können wir viel mehr erreichen – für die Kinder, für die Schule und auch für die Gesellschaft.

Jetzt. Magazin: Für Lehrer ist das auch eine große Verantwortung, und deren Rolle hat sich in den vergangenen Jahren massiv verändert. Kommen die Lehrer mit dieser neuen Verantwortung gut zurecht, und wie bereiten sie sich darauf vor?

Barbara Neumann: Ich habe großes Glück, dass ich an meiner Schule so engagierte Kolleginnen und Kollegen habe. Es ist wirklich ein riesiges Glück. Mein Team bringt so viel Leidenschaft mit. Die Lehrkräfte bilden sich ständig weiter, sie bringen Ideen ein und überlegen gemeinsam, wie wir neue Herausforderungen meistern können. Sie unterstützen sich gegenseitig und arbeiten als echtes Team. Und wenn man zusammenarbeitet, kann man viel mehr erreichen, als wenn jeder für sich allein kämpft.

Die Aufgaben der Lehrkräfte haben sich enorm verändert. Es geht längst nicht mehr nur darum, Inhalte zu vermitteln. Wir müssen auf ganz unterschiedliche Bedürfnisse der Kinder eingehen. Manche haben chronische Krankheiten, andere müssen regelmäßig Medikamente einnehmen. Da braucht es ein gewisses Hintergrundwissen, und viele meiner Kolleginnen und Kollegen bilden sich in solchen Bereichen weiter. Wir haben auch Förderteams, Schulsozialarbeiter und andere Fachkräfte, die eng mit uns zusammenarbeiten. Aber am Ende sind es die Lehrkräfte, die in der Klasse stehen und mit den Kindern arbeiten.

Es gibt bei uns keine Einzelkämpfer. Wenn jemand merkt, dass eine Kollegin oder ein Kollege Unterstützung braucht, dann springt jemand ein. Das ist ein großer Vorteil unseres Teams. Wir haben eine gute Arbeitskultur, bei der jeder weiß, dass er nicht allein ist. Zum Beispiel haben wir multiprofessionelle Teams, die gemeinsam überlegen, wie wir Kinder mit besonderen Bedürfnissen am besten fördern können. Wir arbeiten Hand in Hand, ob es um Unterricht, Fördermaßnahmen oder organisatorische Dinge geht.

Die Lehrkräfte sind nicht mehr nur Vermittler von Wissen. Sie sind Berater, Unterstützer, manchmal auch Seelsorger. Es geht darum, die Kinder ganzheitlich zu begleiten und sie auf ihrem Weg zu unterstützen – sei es in der Schule, im sozialen Miteinander oder bei ihrer persönlichen Entwicklung. Das ist nicht immer einfach, aber ich bin unglaublich stolz darauf, wie mein Kollegium das meistert.

Jetzt. Magazin: Man merkt, Sie sind sehr stolz darauf, was hier alles geleistet wird. Was macht Sie denn außerdem noch stolz?

Barbara Neumann: Ich bin total stolz darauf, wie engagiert mein Kollegium ist und wie wir uns immer wieder weiterentwickeln. Die Lehrkräfte bringen sich aktiv ein, entwickeln neue Ideen und setzen diese auch um. Auch unsere Projekte machen mich stolz. Wir sind eine Schule ohne Rassismus und setzen dieses Konzept aktiv um. Es ist für uns selbstverständlich, dass wir Vielfalt leben und respektieren. Darüber hinaus sind wir Biosphärenschule und setzen uns stark für Nachhaltigkeit ein. Wir haben Hühner, einen großen Schulgarten, Bienenvölker – all das wurde von Kolleginnen und Kollegen initiiert, die diese Projekte freiwillig betreuen, zusätzlich zu ihrer normalen Arbeit.

Ein weiteres Highlight ist unser starkes Berufswahl-Team. Dieses Team knüpft Kontakte zu Unternehmen, organisiert Kooperationen und kümmert sich darum, dass unsere Schülerinnen und Schüler optimal auf die Arbeitswelt vorbereitet werden. Das bringt auch Erfolg: Wir haben den Schule-Wirtschaftspreis gewonnen, und das ist eine Bestätigung für die Arbeit, die wir hier leisten.

Auch die Kinder tragen zu diesem Stolz bei. Es ist für mich beeindruckend zu sehen, wie sie sich tagtäglich in die Schulgemeinschaft einbringen, sei es durch ihre Arbeit als Schulsanitäter oder in anderen AGs. Sie kümmern sich um die Hühner, pflegen den Schulgarten oder engagieren sich sozial. Wir haben viele Kinder, die bereit sind, Verantwortung zu übernehmen, und das macht mich glücklich. Natürlich gibt es auch Streit – wie in jeder Familie –, aber der Umgang miteinander ist respektvoll, und das spürt man.

Was mir besonders wichtig ist, sind die alltäglichen Dinge. Wir sagen hier guten Morgen, wir fragen: „Wie geht es Ihnen?“, und wir nehmen uns gegenseitig wahr. Das klingt vielleicht banal, aber das ist nicht überall selbstverständlich. Es macht mich stolz, dass wir hier eine Schule sind, in der die Menschen gesehen werden. Egal, ob Lehrkraft oder Schülerin und Schüler: Jeder wird wahrgenommen, und das schafft eine Atmosphäre, in der man sich wohlfühlt.

Jetzt. Magazin: Sie haben an Ihrer Schule ein neues Konzept mit einem Wanderpokal eingeführt. Was hat es denn damit auf sich, und wie wird es angenommen?

Barbara Neumann: Ja, der Wanderpokal ist tatsächlich eine ganz neue Idee, die von zwei Kolleginnen und Kollegen kam – Herr Babilon und Frau Preisinger. Sie sind auf mich zugekommen und haben gesagt: „Könnten wir nicht etwas machen wie in Hogwarts?“ – Sie wissen schon, aus Harry Potter. Dort gibt es ja die Häuser, die Punkte sammeln, und am Ende des Jahres gibt es eine große Ehrung. Ich fand die Idee großartig!

Jede Klasse hat einen eigenen Namen und ein eigenes Wappen, das sie selbst gestalten und bei uns einreichen. Dann haben wir einen Hauspokal gemacht und die Gruppe, die am Ende des Schuljahres am besten ist, bekommt diesen Pokal. Dazu gibt es zusätzlich 300 € aus dem Fördervereinstopf und einen zusätzlichen Wandertag. Damit die Kinder auch wirklich motiviert sind, habe ich aus meiner eigenen Tasche noch 100 € oben draufgelegt. Insgesamt gibt es also 400 € für die Siegerklasse, und das ist schon ein ordentlicher Anreiz.

Die Punkte werden nach bestimmten Kriterien vergeben. Wir haben ein elektronisches Klassenbuch, in dem alle relevanten Daten erfasst werden. Zum Beispiel schauen wir: Wie viele Einträge hat eine Klasse? Wie viele Schülerinnen und Schüler kommen regelmäßig zu spät? Wie viele Entschuldigungen fehlen? Und natürlich spielen auch gelbe und rote Karten eine Rolle. Klassen, die in diesen Bereichen gut abschneiden, sammeln Punkte. Wer hingegen viele Einträge oder rote Karten hat, verliert Punkte.

Wir machen fünfmal im Jahr ein Punkte-Ranking mit Rückmeldung, immer kurz vor den Ferien. Das erste Mal haben wir das direkt nach den Herbstferien gemacht. Alle Klassen kamen in die Mensa, und wir haben die Ergebnisse verkündet. Es gab eine Klasse, die insgesamt 10,5 Stunden zu spät gekommen war – natürlich hatten sie wenig Punkte. Das sorgt dann für einen gewissen Ehrgeiz: Die Schülerinnen und Schüler motivieren sich gegenseitig, pünktlicher zu sein, keine Einträge zu bekommen und sich insgesamt als Team zu verbessern. Sie sehen damit, dass sie nur gemeinsam erfolgreich sein können.

Es ist echt spannend zu beobachten, wie die Kinder auf dieses Konzept reagieren. Natürlich gibt es Frust, wenn jemand die Klasse „im Stich lässt“ – etwa durch häufiges Zu-Spät-Kommen oder unentschuldigte Fehlzeiten. Aber genau das ist der Punkt: Wir wollen, dass die Kinder lernen, gemeinsam als Team zu agieren und Verantwortung füreinander zu übernehmen. Sie stacheln einander an, sich zu verbessern, und das stärkt den Zusammenhalt.

Am Ende des Schuljahres wird der Pokal feierlich übergeben. Das Konzept ist noch neu, und ich bin gespannt, wie es sich entwickelt. Aber ich sehe jetzt schon, dass die Kinder begeistert mitmachen.

Jetzt. Magazin: Sie haben eben vom elektronischen Klassenbuch gesprochen. Können Sie uns dazu noch etwas sagen? Wo liegen die Vorteile?

Barbara Neumann: Ja, sicher. Das elektronische Klassenbuch nutzen z. B. nicht nur wir Lehrkräfte, sondern auch die Eltern. Sie haben einen Zugang dazu und können jederzeit sehen, ob ihr Kind in der Schule war, ob es Einträge gab oder ob es Elternpost gibt. Wir schaffen damit wirklich ein hohes Maß an Transparenz. Eltern können die Leistungen und das Verhalten ihrer Kinder jederzeit einsehen und nachvollziehen, was passiert. Wenn Eltern Schwierigkeiten haben, sich mit dem System zurechtzufinden, bieten wir Unterstützung an – etwa Fortbildungen. Dadurch stellen wir sicher, dass wirklich alle mit dem elektronischen Klassenbuch arbeiten können.

Barbara Neumann – Foto: Stephan Bonaventura

Jetzt. Magazin: Wie sehen Sie die Zukunft der Schule? Was müsste sich Ihrer Meinung nach verändern?

Barbara Neumann: Die Zukunft der Schule liegt für mich in einer noch freieren, noch bedürfnisorientierteren Arbeit. Wir müssen uns noch stärker an den individuellen Bedürfnissen der Kinder orientieren und wegkommen von starren Strukturen. Gleichzeitig dürfen wir die Schulen aber nicht allein lassen. Wir benötigen definitiv mehr Personal – und zwar in allen Bereichen! Es muss intensivere Sprachförderung geben, vorwiegend für geflüchtete Kinder oder Kinder aus Familien mit anderen Muttersprachen. Diese Kinder müssen besser unterstützt werden, damit sie wirklich ankommen und integriert werden können. Auch für Kinder mit Beeinträchtigungen – sei es körperlich, kognitiv oder emotional – brauchen wir mehr Unterstützung. 

Und hier muss man sagen: Das muss tatsächlich vonseiten des Ministeriums kommen. Es reicht nicht, sie einfach nur in die Schule zu setzen und zu sagen: „So, jetzt sind sie integriert und versorgt.“ Wir müssen wirklich etwas für sie tun. Das bedeutet auch, dass mehr diagnostische Arbeit notwendig ist. Wir müssen zu Beginn genau hinschauen: Was bringt ein Kind mit? Hat es traumatische Erlebnisse hinter sich? Welche Fähigkeiten hat es, und wo braucht es Hilfe? Diese Arbeit ist essenziell, weil nur so eine gezielte Förderung möglich ist.

Die Realität ist: Wir benötigen mehr Ressourcen, um den Grundstein für eine gute Bildung zu legen. Wenn wir das Fundament nicht richtig setzen, dann fällt uns später das ganze Haus zusammen. Und genau hier sehe die Gefahr. Es wird oft zu wenig in die Basis investiert. Dabei wollen wir doch alle, dass Kinder zu kompetenten, selbstständigen Erwachsenen werden – Menschen, die unsere Gesellschaft bereichern und Fachkräfte, die dringend gebraucht werden. Aber das fängt bei der Schule an und hier muss wirklich mehr Geld investiert werden.

Für unsere Schule haben wir klare Visionen. Wir planen gerade ein Lern- und Kommunikationszentrum in einer der alten Turnhallen. Die Halle wird komplett entkernt und neu gestaltet. Das wird ein Ort, an dem die Kinder Präsentationen halten können, sich zurückziehen und in Ruhe arbeiten oder sich im Team besprechen können. Es soll auch eine Art „Speakers’ Corner“ geben, wo sie sich frei äußern können, und einen kleinen Bibliotheksbereich. Es wird verschiedene Arbeitsinseln geben, an denen sie kreativ und eigenständig arbeiten können. Die Pläne sind schon gemacht, und ich hoffe, dass wir in zwei bis zweieinhalb Jahren fertig sind. Das wird ein großer Schritt nach vorne, weil es den Kindern nicht nur bessere Lernmöglichkeiten bietet, sondern auch einen Raum, in dem sie ihre Ideen und Gedanken entwickeln können. Das sind Projekte, die ich noch mit auf den Weg bringen möchte, bevor ich irgendwann in den Ruhestand gehe.

Jetzt Magazin: Vielen Dank für das Gespräch, Frau Neumann, und Ihnen und der ganzen Schule alles Gute für die Zukunft!

Barbara Neumann: Danke Ihnen, es war mir eine Freude.

Das Interview führte Stephan Bonaventura.

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