Freitag, Juli 25, 2025
23.6 C
Saarland

- Anzeige -

StartGesellschaftSuperfoods: Mythos oder Wunderwaffe? Dr. Verena Keller über Hypes,...

Superfoods: Mythos oder Wunderwaffe? Dr. Verena Keller über Hypes, gesunde Ernährung und was wirklich wichtig ist

Von Daniel von Hofen

Sie gelten als wahre Wunderwaffen gegen Krankheiten, als Booster für das Immunsystem und als Schlüssel zu einem gesunden Lebensstil: Superfoods. Kaum ein Ernährungstrend hat in den vergangenen Jahren so viel Aufmerksamkeit bekommen – befeuert von sozialen Medien, Influencern und cleverem Marketing. Doch was steckt tatsächlich hinter dem Hype um Chiasamen, Goji-Beeren oder Spirulina? Sind sie wirklich so gesund, wie behauptet wird? Oder tut’s auch die Heidelbeere aus dem heimischen Garten?

Wir haben mit der Ernährungsmedizinerin Dr. Verena Keller gesprochen. Dr. Verena Keller ist Internistin und Ernährungsmedizinerin. Sie leitet den Studiengang Ernährungsmedizin und Diätetik an der Universität des Saarlandes und ist Oberärztin in der Inneren Medizin II der Universitätsklinik des Saarlandes mit Schwerpunkt ernährungsassoziierte Erkrankungen und Adipositas. Im Interview erklärt sie, warum der Begriff „Superfood“ wissenschaftlich kaum belastbar ist, welche Nährstoffe tatsächlich hilfreich sein können – und warum es sich lohnt, öfter zu regionalen Lebensmitteln zu greifen. Ein Gespräch über Mythen, Marketing und die Macht der Vielfalt auf dem Teller.

Jetzt. Magazin: Was genau versteht man aus medizinischer Sicht unter dem Begriff „Superfoods“? Gibt es überhaupt wissenschaftliche Kriterien, damit ein Lebensmittel als sogenanntes Superfood gilt?

Dr. Verena Keller: Der Begriff „Superfoods“ ist wissenschaftlich nicht eindeutig definiert und hat sich vor allem durch Marketing etabliert. Er beschreibt Lebensmittel mit einer hohen Nährstoffdichte, die aufgrund ihres Gehalts an Vitaminen, Mineralstoffen, sekundären Pflanzenstoffen oder anderen bioaktiven Substanzen als besonders gesundheitsfördernd gelten. Wissenschaftliche Belege sind oft begrenzt oder beruhen auf Labor- und Tierversuchen, die nicht direkt auf den Alltag übertragbar sind. Laut EU-Health-Claims-Verordnung sind gesundheitsbezogene Werbeaussagen ohne wissenschaftlich gesicherte Nachweise verboten. Superfoods sind meist nährstoffreiche Lebensmittel mit hohem Gehalt an Antioxidantien, Vitaminen oder sekundären Pflanzenstoffen. Sie werden oft als Pulver, Extrakte oder Nahrungsergänzungsmittel verkauft. Heimische Alternativen bieten allerdings häufig vergleichbare Vorteile, werden jedoch weniger stark beworben. Soziale Medien spielen eine große Rolle bei der Verbreitung dieser Trends. Plattformen wie Instagram und TikTok präsentieren Superfoods oft als unverzichtbare Gesundheitsbooster – meist ohne wissenschaftliche Grundlage. Gerade für die jüngere Generation kann das problematisch sein, da Ernährungstrends zunehmend von Influencern geprägt werden, die nicht selten falsche oder stark vereinfachte Informationen verbreiten. Statt jedem neuen Hype zu folgen, lohnt es sich, auf eine bewährte, nährstoffreiche Ernährung zu setzen – oft mit Produkten, die vor der eigenen Haustür wachsen.

Ernährungsmedizinerin Dr. Verena
Keller – Foto: Armin Schweitzer

Jetzt. Magazin: Welche gesundheitlichen Vorteile können Superfoods denn dann überhaupt bieten?

Dr. Verena Keller: Superfoods werden gerne als “wahre Wundermittel” vermarktet – von der Stärkung des Immunsystems bis zur Prävention oder sogar Therapie schwerer Krankheiten. Doch wissenschaftlich gesicherte Belege fehlen meist. Viele Aussagen basieren auf Labor- oder Tierversuchen, Einzelstudien oder Erfahrungsberichten, die sich nicht direkt auf den Alltag übertragen lassen. Gesicherte Daten zu Enzym-Gehalten oder sekundären Pflanzenstoffen fehlen oft, weshalb eine fundierte Bewertung schwierig ist. Laut Verbraucherzentrale konnte das Chemische- und Veterinäruntersuchungsamt Stuttgart bei Untersuchungen im Jahr 2017 beispielsweise zeigen, dass 90 % der überprüften Proben Mängel in der Kennzeichnung aufwiesen. Ähnlich wie bei Nahrungsergänzungsmitteln werden Kombinationen von Inhaltsstoffen beworben, ohne dass sie in dieser Zusammensetzung tatsächlich getestet wurden. Einzelne Inhaltsstoffe mögen sinnvoll sein, doch die Wirksamkeit des Gesamtprodukts bleibt unbewiesen. Tatsächlich enthalten einige Superfoods wertvolle Antioxidantien oder entzündungshemmende (sekundäre) Pflanzenstoffe. Doch der gesundheitliche Nutzen hängt nicht von einzelnen „Power-Lebensmitteln“ ab, sondern von der gesamten Ernährung.

Jetzt. Magazin: Inwiefern können Superfoods trotzdem zur Prävention von Krankheiten beitragen? 

Dr. Verena Keller: Superfoods enthalten viele wertvolle Nährstoffe, die durchaus zur Gesundheit beitragen können – besonders, wenn sie als naturbelassene Lebensmittel verzehrt werden und nicht in hochverarbeiteter Pulver- oder Extraktform. Doch der Schlüssel zur Krankheitsprävention liegt nicht in einzelnen „Super“-Lebensmitteln, sondern in einer insgesamt ausgewogenen Ernährung. Wer sich vielseitig ernährt, nimmt automatisch eine gute Mischung aus Antioxidantien, Vitaminen und Mineralstoffen auf – unabhängig davon, ob die Lebensmittel als „Superfood“ vermarktet werden oder nicht. Wie wirken diese Nährstoffe? Antioxidantien (z. B. in Beeren, Nüssen, Gemüse) neutralisieren schädliche freie Radikale und können so Zellschäden vorbeugen. Vitamine (z. B. Vitamin C aus Zitrusfrüchten oder Vitamin A aus Karotten) unterstützen das Immunsystem, die Zellregeneration und viele Stoffwechselprozesse. Und Mineralstoffe (z. B. Eisen in Hülsenfrüchten oder Magnesium in Nüssen) sind essenziell für Knochen, Muskelfunktion und den Energiehaushalt. Superfoods können also eine gesunde Ernährung bereichern – sie ersetzen sie aber nicht. Wer auf Vielfalt und Frische setzt, tut seinem Körper den größten Gefallen.

Jetzt. Magazin: Kann man vor diesem Hintergrund Superfoods überhaupt empfehlen?

Dr. Verena Keller: Ich persönlich bin kein Freund davon, wahllos Superfoods zu empfehlen. Stattdessen teste ich meine Patienten und Patientinnen gerne auf mögliche Nährstoffmängel und setze gezielt dort an, wo ein Ausgleich sinnvoll ist. Generell ziehe ich eine bunte, abwechslungsreiche und pflanzenbetonte Ernährung einzelnen Trend-Lebensmitteln vor. Was ich jedoch oft empfehle, ist die Ergänzung der täglichen Ernährung mit Haferflocken, Samen und Nüssen, da sie wertvolle Ballaststoffe, gesunde Fette und eine große Zahl an Mikronährstoffen liefern. Auch Beeren wie Heidelbeeren sind immer eine gute Wahl – sie enthalten viele Antioxidantien, aber wenig Fruchtzucker – und sind oft auch regionalen Ursprungs. Sportler profitieren beispielsweise von Omega-3-reichen Lebensmitteln wie Leinsamen, Walnüssen oder Algenöl für die Regeneration und Entzündungshemmung. Je nach Trainingsziel kann auch Rote-Bete-Saft hilfreich sein, da er die Durchblutung verbessert und die Sauerstoffversorgung der Muskulatur steigert. Schwangeren kann man gerne eisenreiche Lebensmittel wie Haferflocken, Hülsenfrüchte oder dunkelgrünes Blattgemüse nahelegen, kombiniert mit Vitamin-C-haltigen Lebensmitteln, um die Aufnahme des Eisens zu verbessern. Mit meinen Diabetikern bespreche ich oft die Durchführung von Hafertagen (eine Haferflocken-betonte Ernährung über 3 Tage, angerührt mit Wasser oder fettfreier Bouillon und ergänzt mit z.B. frischen Kräutern, Zitrone oder Beeren), da sie die Blutzuckerkurven positiv beeinflussen können. Superfoods können also durchaus eine Ernährung bereichern, aber entscheidend bleibt die Vielfalt und die Qualität der gesamten Lebensmittelauswahl.

Jetzt. Magazin: Gibt es auch Personengruppen, für die bestimmte Superfoods ungeeignet sind, etwa bei Allergien oder Unverträglichkeiten?

Dr. Verena Keller: Ja, absolut – zum Beispiel bei Histaminunverträglichkeit, wo fermentierte Superfoods Probleme bereiten können. Oder bei Kreuzallergien, wie sie häufig bei exotischen Beeren vorkommen. Auch eine sehr hohe Konzentration an Ballaststoffen kann bei empfindlichen Personen zu Verdauungsbeschwerden führen. Generell sollte man bei exotischen Lebensmitteln vorsichtig sein – egal ob sie frisch verzehrt oder als Extrakt verarbeitet sind. Solche Produkte können Überempfindlichkeitsreaktionen oder Allergien auslösen. Besonders Menschen mit einer Birkenpollenallergie sind gefährdet, da sie oft auch auf Obstsorten wie Apfel, Pfirsich, Pflaume oder Kiwi reagieren – ebenso auf Nüsse, Karotten, Sellerie, rohe Kartoffeln, Soja oder Litschi. Ähnliche Reaktionen treten auch bei Pollenverwandtschaften auf, etwa zwischen Beifuß, Litschi und Anis. Und wer eine Latexallergie hat, könnte empfindlich auf Avocado, Ananas, Feige oder Kiwi reagieren.

Jetzt. Magazin: Welche verbreiteten Mythen und typische Missverständnisse rund um Superfoods begegnen Ihnen in Ihrer Praxis?

Dr. Verena Keller: Viele glauben, dass Superfoods allein eine gesunde Ernährung garantieren oder Krankheiten heilen können – das ist wissenschaftlich nicht belegt. Ein weit verbreitetes Missverständnis ist, dass exotische Superfoods automatisch besser seien als heimische Alternativen. Dabei bieten regionale Lebensmittel oft ein ebenso wertvolles oder sogar besseres Nährstoffprofil. So liefern Leinsamen ähnlich viel Omega-3 wie Chiasamen, und Heidelbeeren enthalten vergleichbare Antioxidantien wie Acai-Beeren. Wer zudem saisonal und regional kauft, schont nicht nur die Umwelt und fördert die Nachhaltigkeit, sondern spart oft auch noch bares Geld. Hier möchte ich nochmal auf eine wichtige Aussage der Verbraucherzentrale verweisen: Entscheidend ist nicht der absolute Nährstoff-Gehalt pro 100 Gramm, sondern die Menge in einer üblichen Portion. So enthält Spirulina zwar über 60 Prozent Eiweiß. Bei einer Portionsgröße von 6 Gramm sind das aber eben nur 3,6 Gramm. Und eine Portion getrockneter Goji-Beeren (25 Gramm) enthält mit 12 Milligramm weniger Vitamin C als eine Portion gegarter Rosenkohl (150 Gramm – 114 Milligramm Vitamin C).

Jetzt. Magazin: Es wurde schon angedeutet, dass es keine überteuerten Produkte aus der Ferne braucht. Was sind die heimischen Alternativen?

Dr. Verena Keller: Viele heimische Lebensmittel bieten vergleichbare oder sogar bessere gesundheitliche Vorteile als exotische Superfoods – oft zu einem günstigeren Preis und mit kürzeren Transportwegen. Neben den bereits genannten Heidelbeeren und Leinsamen stellen schwarze Johannisbeeren statt Goji-Beeren eine gute Alternative da: sie enthalten ähnlich viele Antioxidantien und sogar mehr Vitamin C. Walnüsse liefern ebenso wertvolle Omega-3-Fettsäuren wie Paranüsse, enthalten aber weniger potenziell schädliches Selen. Oder wie von der Verbraucherzentrale aufgelistet noch einige weitere gute Möglichkeiten, auf heimische Produkte zu setzen: Anstelle der Acai-Beere  können heimische dunkle Beeren (Brom-, Holunder, – Heidel- und Apfelbeere (Aronia) sowie Kirsche, rote Weintraube und Rotkohl gegessen werden, die ebenfalls mit hohen Gehalten an Antioxaidantien punkten. Grünkohl, Spinat und Feldsalat ersetzen Spirulina und Moringa. Besonders reich an den wichtigen sekundären Pflanzenstoffen sind auch Zwiebelgewächse (Zwiebel, Porree, Schnittlauch, Knoblauch), alle Kohlarten, Rettiche, Rote Bete, Hülsenfrüchte und Zitrusfrüchte, native Pflanzenöle, Kerne und Nüsse, aber auch Kartoffeln und (Vollkorn-)Getreide.

Jetzt. Magazin: Sehen Sie Trends oder neue Entwicklungen, die in den nächsten Jahren wichtig werden könnten?

Dr. Verena Keller: Ein klarer Trend geht hin zu Pflanzen mit adaptogenen Eigenschaften – also Lebensmitteln, die dem Körper helfen sollen, sich besser an Stress anzupassen. Dazu gehören etwa Ashwagandha, Rhodiola oder heimische Alternativen wie Ginseng und Rosenwurz. Auch fermentierte Lebensmittel wie Sauerkraut, Kimchi oder Kefir rücken verstärkt in den Fokus, da sie das Mikrobiom positiv beeinflussen können. Parallel dazu wächst das Interesse an nachhaltigen regionalen Alternativen. Immer mehr Menschen erkennen, dass heimische Lebensmittel oft ähnliche Nährwerte bieten, aber umweltfreundlicher und günstiger sind. In der Forschung spielt dieser Aspekt eine zunehmend große Rolle – gerade vor dem Hintergrund der steigenden Lebensmittelknappheit und der Herausforderungen des Klimawandels. Es wird immer wichtiger, Anbauflächen effizient zu nutzen und pflanzliche Nährstoffquellen lokal zu erschließen, um die Ernährungssicherheit zu gewährleisten. Statt nach neuen, exotischen „Wunderzutaten“ zu suchen, könnte der nachhaltigste Trend darin bestehen, bestehende heimische Lebensmittel stärker zu nutzen und ihre gesundheitlichen Potenziale weiter zu erforschen.

Jetzt. Magazin: Wenn Sie nur einen Rat geben könnten – worauf sollte man beim Thema Superfoods und gesunder Ernährung in erster Linie achten?

Dr. Verena Keller: Lassen Sie sich nicht von Hypes verrückt machen – gesunde Ernährung bedeutet Vielfalt, Qualität und Genuss. Echte Superfoods wachsen oft direkt vor unserer Haustür: Beeren, Nüsse, Saaten, Gemüse und Vollkornprodukte liefern alles, was der Körper braucht – ganz ohne Marketing-Mythos. Entscheidend ist nicht, ob etwas „super“ heißt, sondern dass es Ihnen und Ihrem Körper guttut.

Superfoods oder ihre heimischen Alternativen lassen sich einfach und ohne großen Aufwand in den täglichen Speiseplan einbauen.  Hier ein paar einfache und doch gut umsetzbare Möglichkeiten: 1. Zum Frühstück: Haferflocken mit Leinsamen, Nüssen und frischen Beeren im Joghurt oder Porridge. 2. Als Snack: Eine Handvoll Walnüsse oder Mandeln statt verarbeiteter Müsliriegel. 3. In herzhaften Gerichten: Leinsamen oder gehackte Nüsse als Topping für Salate, Suppen oder Gemüsegerichte. 4. In Getränken: Rote-Bete-Saft für Sportler oder ein Smoothie mit Heidelbeeren, Spinat und Haferflocken (bitte aus ernährungsphysiologischer Sicht nur selbst frisch gepresst und nicht gekauft). 5. Zum Backen: Leinsamen oder gemahlene Nüsse als Mehlersatz in Brot, Pfannkuchen oder Muffins. 6. Für schnelle Mahlzeiten: Quark oder Hüttenkäse mit frischen Beeren und Honig als eiweißreiche Zwischenmahlzeit.

- Anzeige -

0
Would love your thoughts, please comment.x