Es beginnt mit einem Atemzug. Ein kollektives Einatmen, irgendwo zwischen Anspannung und Vorfreude. Dann ein leises Heben der Bögen, ein letzter Blick – und aus Dutzenden individuellen Stimmen wird ein einziger Klang. So entsteht Musik. So entsteht Einheit.
Wenn im Mai 2025 die ersten Töne der Musikfestspiele Saar erklingen, geht es um mehr als künstlerische Virtuosität. Es geht um die Frage, ob sich eine zersplitterte Welt wieder in Einklang bringen lässt. Nicht mit Parolen. Nicht mit Paragrafen. Sondern mit Klang. Mit Menschlichkeit. Mit Musik.
Wo Musik beginnt, endet das Trennende
75 Jahre nach Robert Schumans epochaler Erklärung – jenem politischen Gründungsmoment der europäischen Einigung – laden die Musikfestspiele Saar dazu ein, Europa nicht zu erklären, sondern zu erleben. Nicht abstrakt, sondern konkret. Nicht als politisches Konzept, sondern als klingende Wirklichkeit.
Das Motto der Festspiele – Einheit, Freiheit, Freifalt, Vielfalt, Vielheit – klingt zunächst wie ein poetisches Sprachspiel, ist aber in Wahrheit eine präzise kulturelle Zustandsbeschreibung. Denn das Saarland, diese oft unterschätzte Schnittstelle zwischen Deutschland und Frankreich, zwischen Vergangenheit und Aufbruch, hat sich mit den Musikfestspielen 2025 viel vorgenommen: den Klang Europas hörbar zu machen.
Klangfarben der Verständigung
Für Bernhard Leonardy, Intendant der Musikfestspiele, ist das Festival mehr als ein Konzertkalender. Es ist ein Statement. „Wir wollen zeigen, dass Europa mehr ist als Verträge – nämlich gelebte Kreativität, geteilter Klang, gemeinsames Erleben“, sagt er. Tatsächlich erinnert vieles an eine künstlerische Außenpolitik, die auf Empathie statt Exklusivität setzt. Ein Blick ins Programm unterstreicht das eindrucksvoll.
Da ist etwa das Eröffnungskonzert in Berlin, mitten im politischen Zentrum der Republik, mit Musik von Beethoven, Poulenc und Szymanowski – drei Komponisten, drei Nationen, eine Sprache: Musik. Es folgen symbolträchtige Orte wie Perl, Sierck-les-Bains und Schengen, wo der Dresdner Kammerchor die Idee Europas nicht deklamiert, sondern singt. Drei Länder, ein Abend, ein Klangraum der Verbindung.

Wenn Bach zu tanzen beginnt
Und dann ist da Quatuor Beat. Vier Percussionisten, die Johann Sebastian Bach so energiegeladen interpretieren, als hätte der Altmeister selbst ein Faible für Clubbeats gehabt. Click’n Drums heißt ihr Programm, und es ist alles, was klassische Musik oft nicht ist: wild, witzig, körperlich. Das Licht flackert, Rhythmen krachen, das Publikum wird Teil der Inszenierung. Hier wird deutlich: Musik kann auch aufbrechen, durchschütteln, überwinden.
Klangkörper Europa – vom Bürgerorchester bis zur Opéra de Paris
Eine der stärksten Geste ist vielleicht das Bürgerorchester. Hier spielen keine internationalen Stars, sondern Menschen wie du und ich – Lehrerin, Steuerberater, Rentnerin. Sie alle eint ein Wunsch: mitzuspielen, mitzuwirken, Teil zu sein. Unter der Leitung von Kiril Tsanevski proben sie in der Eli.ja-Kirche in Saarbrücken für den großen Auftritt an der Universität – als Zeichen, dass Kultur nicht elitär sein muss, sondern Einladung ist.
Gleichzeitig feiern in der Neunkircher Gebläsehalle 18 Tänzerinnen und Tänzer des Junior Ballet der Opéra de Paris ihre Premiere. Die älteste Ballettschule der Welt gründet ein neues Ensemble – und kommt zur Uraufführung ins Saarland. Das ist nicht nur symbolisch, das ist auch: atemberaubend.

Die Welt in einem Festival
Fast beiläufig reihen sich weitere Highlights aneinander wie funkelnde Mosaiksteine eines größeren Bildes. Die City of Birmingham Symphony bringt einen französischen Klangbogen mit Berlioz, Ravel und Saint-Saëns nach Saarlouis. Der Bariton Benjamin Appl fragt im Schloss Münchweiler, was Heimat bedeutet – musikalisch, politisch, poetisch.
Das brasilianische Jugendorchester NEOJIBÁ bringt nicht nur Musik, sondern Hoffnung mit. Aus einem sozialen Bildungsprojekt entstanden, zeigt das Orchester, was passiert, wenn man Kindern in schwierigen Verhältnissen ein Instrument statt Perspektivlosigkeit in die Hand gibt. Hier erklingt nicht nur Musik – hier klingt Zukunft.
Die leisen Momente
Die lautesten Fragen stellen die stillsten Konzerte. Etwa bei den Moment-Concerts im Container, bei denen jeweils nur eine Person dem Spiel eines Musikers lauscht – 15 Minuten, ohne Ablenkung. Das ist nicht nur mutig, das ist radikal. Denn es zwingt zur Präsenz. Und in dieser Unmittelbarkeit passiert etwas, das uns in unserem digitalen Rauschen abhandengekommen ist: echte Berührung.
Oder das 360°-VR-Puppentheater aus Zwickau: ein Balladenabend mit Emmanuel Geibels „Die Goldgräber“, der die Schüler nicht mehr nur zuschauen lässt, sondern mitten in die Handlung katapultiert – via VR-Brille, Raumklang und vierdimensionalem Theatergefühl. Bildung, wie sie sein sollte: immersiv, emotional, innovativ.
Zwickau und der Blick nach Osten
Apropos Zwickau: In Kooperation mit der Kulturhauptstadtregion Chemnitz bietet das Festival eine fünftägige Kulturreise an – vom Bachhaus in Eisenach über den Freiberger Dom bis hin zum Schumann-Haus in Zwickau. Die Reise wird zur Reflexion: Wie gehen wir mit dem Osten Europas um? Welche Geschichten erzählen diese Städte – jenseits der Klischees?

Was bleibt?
Die Musikfestspiele Saar 2025 sind kein Selbstzweck. Sie sind ein Statement. Gegen das Auseinanderdriften. Gegen das Gefühl der Machtlosigkeit. Sie bieten keinen schnellen Trost. Aber sie bieten Resonanz. Und manchmal reicht das: dass jemand spielt, während andere zuhören – und beides wieder zusammengehört.
Musik, so lehrt uns dieses Festival, ist kein Ornament. Sie ist ein Werkzeug. Sie verbindet Räume, Zeiten, Menschen. Sie ist das Gegenteil von Lärm. Sie ist die Ordnung im Chaos. Und manchmal – ist sie Europa.
Mehr Informationen zum Ticketkauf gibt es hier: https://musikfestspielesaar.de/ueber-uns/hinweise-zum-ticketverkauf/
Das komplette Programm: