Kolumne
Wir alle kennen die endlosen Diskussionen über steigende Krankenkassenbeiträge, überfüllte Wartezimmer und die immer teurer werdende Hightech-Medizin. Aber stellen wir uns doch einmal die einfache Frage: Wäre es nicht viel klüger, Krankheiten gar nicht erst entstehen zu lassen, anstatt sie im Nachhinein mühsam und teuer zu behandeln?
Nehmen wir das Beispiel Krebs. Allein das Wort sorgt bei vielen Menschen für Beklemmung. Dabei zeigen Studien seit Jahren: Der überwiegende Teil der Krebserkrankungen hängt mit unserem Lebensstil zusammen. Mit anderen Worten: Wir haben es ein großes Stück weit selbst in der Hand. Eine gesunde Ernährung und Lebensweise könnte die Mehrzahl der Krebserkrankungen in Deutschland verhindern.
Man weiß heute, dass Krebs im Grunde in zwei Stufen entsteht. Zuerst braucht es einen Auslöser, etwas, das unsere Zellen schädigt. Beispiele für „Karzinogene“ sind Substanzen, die beim Grillen entstehen, hormonähnlich wirkende Substanzen in verarbeiteten Lebensmitteln, Asbest, UV-Strahlung oder Lösungsmittel. Sie sind die „Initiatoren“, sie schlagen die Funken, die das Feuer entfachen können.
Doch ein einzelner Funke reicht nicht, um ein großes Feuer zu entzünden. Dafür braucht es Zunder – und genau hier kommen die sogenannten „Promotoren“ oder „Krebstreiber“ ins Spiel. Das sind Faktoren, die das Wachstum bereits geschädigter Zellen fördern. Tierisches Eiweiß etwa kann über Wachstumsfaktoren wie ein Brandverstärker wirken. Auch bestimmte Eisenverbindungen aus rotem Fleisch, eine ballaststoffarme Ernährung oder die durch Adipositas entstehende chronische Entzündung können dazu beitragen, dass aus einer kleinen Veränderung ein echter Tumor wird.
Das klingt zwar bedrohlich, ist aber auch eine gute Nachricht. Denn während wir die erste Mutation nicht immer verhindern können – wer weiß schon, wann eine einzelne Zelle im Körper verrücktspielt – haben wir großen Einfluss auf die zweite Phase. Eine gesunde Lebens- und Ernährungsweise kann nicht nur den Großteil der Krebserkrankungen in Deutschland verhindern, sondern teilweise sogar die weitere Entwicklung schon bestehender Herde umkehren. Das bedeutet: Wenn wir den Zunder wegräumen, kann sich aus dem Funken kein Flächenbrand entwickeln.

Was heißt das konkret? Die meisten Menschen wissen recht genau, was an ihrer Lebensweise nicht gut ist, welche Lebensmittel man reduzieren oder ganz weglassen soll. Es geht aber auch darum, was man in seinen Speiseplan integrieren sollte: mehr Gemüse, Hülsenfrüchte, Obst und Vollkorn. Prävention beginnt im Alltag: Bewegung, frische Luft, Stressabbau. Und: Vorsorge ernst nehmen. Denn je früher Krebs entdeckt wird, desto größer sind die Heilungschancen. Das klingt banal – aber es sind genau diese einfachen Dinge, die den Unterschied machen.
Manchmal ist es hilfreich, das Problem auch von der wirtschaftlichen Seite zu betrachten. Die Summen, die für die Therapie von Krebs und Gefäßerkrankungen ausgegeben werden, werden immer höher. Für die Verhinderung dieser Krankheiten gibt es hingegen kaum Investitionen. Wir pumpen Milliarden in die Behandlung, aber für die Vorbeugung bleibt kaum ein Rest. Dabei könnte eine kluge Investition in Prävention nicht nur Menschenleben retten, sondern auch die Kassen entlasten.
Am Ende bleibt eine Botschaft, die Mut macht: Gesundheit ist keine komplizierte Wissenschaft, sondern oft eine Frage der täglichen Gewohnheiten. Wer seinen Teller bunt füllt, sich regelmäßig bewegt und Vorsorgeangebote nutzt, der hat schon viel getan, um dem Krebs die Stirn zu bieten. Aktuell kostet unser Gesundheitssystem zu viel und es fördert weder Gesundheit noch verhindert es Krankheiten. Vielleicht kommen wir damit dem Ziel ein Stück näher, das unser Gesundheitssystem eigentlich haben sollte: nicht nur Krankheiten zu behandeln, sondern sie gar nicht erst entstehen zu lassen.
Über Dr. Michael Jelden:
Geboren 1971 in Stuttgart, studierte Medizin in Homburg/Saar sowie Musik und Sprachwissenschaften in Stuttgart, Saarbrücken, Tübingen und München. Nach der Promotion zum Dr. med. folgten Station in der Innere Medizin (Onkologie, Kardiologie, Rheumatologie und Pomologie) am UKS. Dr. Jelden ist Facharzt für Allgemeinmedizin, zertifizierter Hypertensiologe (DHL) und Ultraschallexperte (DEGUM I). Er lehrt an der Universität des Saarlandes und wurde 2019 mit dem Forschungspreis der Werner-Zeh-Stiftung ausgezeichnet. Er betreibt eine Hausarztpraxis in 66424 Homburg.



