Zwischen Druckerschwärze und Algorithmus liegt ein ganzes Medienzeitalter – und Thorsten Bost hat beide Welten miterlebt. Als junger Gründer stellte er sich selbst an die Druckmaschine, heute steuert er mit seinem Geschäftspartner Dr. Oliver Schottek die ting, eine der bekanntesten Social-Media-Agenturen des Saarlandes. In diesem Gespräch geht es um viel mehr als nur Reichweite oder Likes: Bost spricht darüber, warum Vertrauen zur härtesten Währung im Netz geworden ist, wie Unternehmen mit Shitstorms oder Deepfakes umgehen sollten, weshalb die Wahrheit im digitalen Raum immer brüchiger wird – und was es bedeutet, wenn junge Menschen Wissen nicht mehr googeln, sondern auf TikTok suchen. Ein Interview über Chancen und Risiken, über Verantwortung und die Frage, wie Social Media unsere Gesellschaft verändert.
Herr Bost, früher blätterte man durch Stadtmagazine, heute wischen wir durch Instagram oder TikTok. Wann haben Sie persönlich gemerkt: Die eigentliche Öffentlichkeit spielt sich nicht mehr am Kiosk, sondern im Smartphone ab?
2009 habe ich es zum ersten Mal so richtig gespürt. Damals war ich Herausgeber des Veranstaltungsmagazins saartermin, einer Institution für Ausgehtipps. Wir begannen, unsere Tipps auch auf Facebook zu veröffentlichen – und prompt kam der erste Kommentar: „An dem Tag gehe ich lieber zu …“. Darauf folgten 23 Likes, und mir wurde klar: Social Media entzieht den klassischen Medien die Deutungshoheit. Tipps aus der Community ersetzen sehr schnell die Empfehlungen von Journalistinnen und Journalisten. Dazu kommt die unfassbare Geschwindigkeit und Aktualität – etwas, das ein Printprodukt in dieser Form schlicht nicht leisten kann.
Wenn ein Unternehmen heute auf Social Media aktiv ist: Was sollte immer das Ziel sein?
Das Ziel sollte nie bloß Reichweite oder Likes sein. Social Media ist für Unternehmen vor allem ein Werkzeug, um Vertrauen aufzubauen und die eigene Haltung sichtbar zu machen – als Marke und als Arbeitgeber. Wer authentisch kommuniziert, den Dialog sucht und echten Mehrwert bietet, gewinnt langfristig deutlich mehr, als mit jeder noch so großen Like-Zahl.
Immer öfter sieht man KI-generierte Bilder oder Videos. Wie sollen Nutzer künftig erkennen können, ob etwas echt ist oder künstlich gemacht – und wie verhindert man, dass das Vertrauen komplett wegbricht?
Als Absender sind Transparenz und Kennzeichnung am wichtigsten. Nutzer müssen klar sehen können, ob ein Inhalt KI-generiert ist – ähnlich wie bei Zutatenlisten auf Lebensmitteln. Plattformen, Medienhäuser und Unternehmen tragen hier Verantwortung. Gleichzeitig braucht es digitale Medienkompetenz: Wir alle müssen lernen, Inhalte kritisch zu prüfen und Quellen einzuordnen. Nur wenn Technik und Aufklärung zusammenkommen, kann Vertrauen bestehen bleiben.
Stellen Sie sich vor, plötzlich taucht ein täuschend echtes Video auf, in dem ein Firmenchef Dinge sagt, die er nie gesagt hat. Was tun Unternehmen in so einer Situation als Erstes? Was raten Sie?
Zunächst gilt: sofort reagieren – Schweigen wirkt wie ein Schuldeingeständnis. Ein Unternehmen sollte das Video öffentlich klarstellen, die Falschinformation transparent entkräften und auf glaubwürdige Kanäle verweisen. Parallel ist wichtig, rechtliche Schritte zu prüfen und Plattformen zur Löschung aufzufordern. Am meisten zählt dabei Glaubwürdigkeit: Wer bereits zuvor authentisch und konsistent kommuniziert hat, kann in so einer Krise schneller Vertrauen zurückgewinnen.
Viele junge Leute googeln nicht mehr, sondern suchen direkt auf TikTok nach Jobs, Restaurants oder Politik-Themen. Was bedeutet das für unser Verständnis von Wissen und Wahrheit und die zukünftige Entwicklung?
Das zeigt: Wissen wird heute erlebt statt recherchiert. Junge Menschen suchen weniger nach neutralen Informationen, sondern nach Erfahrungen, Meinungen und authentischen Einblicken. Das macht Inhalte greifbarer – birgt aber auch Risiken, weil Quellen oft nicht überprüft sind und Algorithmen bestimmen, was sichtbar wird. Für unser Verständnis von Wahrheit heißt das: Wir müssen stärker unterscheiden lernen zwischen subjektiver Erfahrung und faktenbasierter Information. Die Zukunft wird davon abhängen, ob es uns gelingt, beide Ebenen sinnvoll miteinander zu verbinden.
Die Algorithmen belohnen bestimmte Inhalte mit Reichweite – andere gehen komplett unter. Was bedeutet das für Themen, die vielleicht leiser, aber trotzdem wichtig sind? Und was macht es mit den Menschen, die sich in diesen Algorithmen verlieren, bezogen auf den psychischen Druck?
Für Unternehmen bedeutet das: Wer nur auf Reichweite setzt, läuft Gefahr, inhaltlich austauschbar zu werden. Gerade die „leiseren“ Themen – etwa Nachhaltigkeit, Unternehmenskultur oder gesellschaftliche Verantwortung – gehen schnell unter, wenn man sie im Stil von Social Media-Hypes erzählt. Hier braucht es Kreativität und Klarheit, um solche Botschaften so aufzubereiten, dass sie trotz Algorithmus relevant und sichtbar bleiben. Gesellschaftlich birgt der Mechanismus ein Risiko: Menschen vergleichen sich ständig mit den „Gewinnern“ der Algorithmen, was zu Druck, Frust oder Selbstzweifeln führen kann. Umso wichtiger ist es, dass Unternehmen Verantwortung übernehmen und nicht nur das Lauteste pushen, sondern bewusst auch Inhalte teilen, die Substanz haben – und damit ein Gegengewicht zu kurzfristigen Aufmerksamkeitslogiken bilden.
Social Media hört nie auf – es gibt immer Kommentare, Shitstorms oder Druck. Wie stellen Sie sicher, dass ihre eigenen Mitarbeiter damit gesund umgehen können? Sowas kann an den Nerven zehren oder?



